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Religion – transzendierender Vitalimpuls?
Zum Tode eines freireligiösen Humanisten, des streitbaren Ideologiekritikers Hubertus Mynarek
Am 7. September 2024 ist einer der wohl bedeutendsten Religionsphilosophen und Kirchenkritiker der Gegenwart, Hubertus Mynarek, im Alter von 95 Jahren von uns gegangen. Seine gehaltvollen Streitgespräche werden uns fehlen. Vermissen werden wir aber auch seine wissenschaftlichen Ratschläge und tiefschürfende Anregungen bis hin zu den zahlreichen Veröffentlichungen, mit denen er den gesamten freigeistigen Raum positiv befruchtete.
Hubertus Mynarek ist in ein katholisches Elternhaus in Oberschlesien hinein geboren worden und geriet 1945 in polnische Gefangenschaft. Hier entschloss er sich Priester zu werden. Er studierte Theologie, Philosophie sowie Psychologie und wurde 1953 zum Priester geweiht. 1958 zog er in die BRD und wirkte von 1965 bis 1968 als Dozent und ab 1966 als außerordentlicher Professor für Fundamentaltheologie und Religionswissenschaft an der Universität Bamberg. 1968 wurde er als ordentlicher Professor an die Universität Wien berufen, wo er bis 1972 lehrte, ab 1971 als Dekan. Er war verheiratet und hat drei Kinder.
Der freireligiöse Humanist erwachte in ihm, als er erkannte, dass er sein humanistisches Grundverständnis in der katholischen Kirche nicht verwirklichen konnte. Als seine Forderungen nach Aufhebung des Zölibats und Demokratisierung der Kirche nicht die nötige Beachtung fanden, trat er mit einem offenen Brief an den Papst aus der Kirche aus und heiratete. Das gab einen Riesenwirbel mit heftigen, auch persönlichen Angriffen, besonders aus dem Kollegenkreis. Aber Mynarek mag keine halben Sachen und verabschiedete sich vom Herrschaftschristentum gänzlich. Kardinal König entzog ihm daraufhin die kirchliche Lehrerlaubnis, und vom österreichischen Staat wurde er zwangspensioniert. Er war damit der erste Universitätsprofessor der deutschsprachigen Theologie im 20. Jahrhundert, der aus der katholischen Kirche austrat.
Seit dieser Zeit, die nicht einfach für ihn war, verdiente er seinen Lebensunterhalt, mehr schlecht als recht, als freier Schriftsteller. Daneben brachte er sich in den freigeistigen Raum ein und eine umfangreiche Vortrags- und Lehrtätigkeit begann. So erarbeitete er im Auftrag der Deutschen Unitarier eine Art Grundwerteschrift unter dem Titel „Orientierung im Dasein“. Außerdem schrieb er für freigeistige Zeitschriften wie „diesseits“, „Aufklärung und Kritik“, „Wege ohne Dogma“ usw. Ein Großteil seiner Bücher wurden im „Angelika Lenz Verlag“ verlegt, an dessen „Lexikon freien Denkens“ er auch aktiv mitwirkte. Außerdem war er vorübergehend Mitglied der Partei „Die Grünen“ und kandidierte später für „Die Linke“. Davor war er kurze Zeit Gemeindesprecher der „Freireligiösen Gemeinde Wiesbaden“, aber sonst nicht fester in die Freireligiöse Bewegung eingebunden. Gleichwohl befruchteten seine wissenschaftlichen Arbeiten und seine Schriften das Anliegen der freien Religion dermaßen, dass man ihn, neben Johannes Ronge und Wilhelm Bonneß, getrost zu den Kündern freier Religion zählen könnte. Für alle Fälle wäre die freigeistige Bewegung ohne die Werke und den Einfluss von Hubertus Mynarek um einiges ärmer, was besonders sein Wirken in der Freien Akademie betrifft.
So verdanken wir ihm die Einsicht, dass der Mittelpunkt von Religion nicht Gott, sondern das Sein ist und seine postmoderne Definition des Religionsbegriffes überzeugt. Sie lautet: Religion ist der umfassende, ganzheitliche, grenzüberschreitende, (transzendierende) Vitalimpuls des Menschen, der sich auf eine erfahrene, erlebte oder nur gedachte und gemeinte oder sogar gerade als solche negierte letzte Grundwirklichkeit richtet.
Bei dem freigeistigen Paradigma frei in oder frei von Religion, bekennt er sich damit eindeutig zu frei in der Religion und stellt dieser Theorie den „Transzendenzlosen Nomaden“ gegenüber.
Schließlich führt er die Ethikdiskussion aus einer Sackgasse, wenn er in ethische und intellektuelle Toleranz unterscheidet. Danach hat die intellektuelle Toleranz durchaus Grenzen, die ethische dagegen keinesfalls.
Er war bekanntermaßen keinesfalls der erste Theologe, der aus der Kirche austrat, aber er gehört zu den wenigen, die Rückgrat bewiesen und sich nicht aus Rücksicht auf Pensionen und ähnliches Salär verbiegen ließen. So ist sein Buch „Herren und Knechte der Kirche“ zwar der Knaller bei der ganzen „Affäre Mynarek“, aber keinesfalls Mynareks wichtigstes Werk. Es wurde zunächst verboten und ist deshalb zu einem Bestseller geworden, wie auch „Eros und Klerus“. Nun war Mynarek war zwar religionskritisch, aber keinesfalls religionsfeindlich. So ist der wissenschaftliche Gehalt der über 40 Bücher, die er verfasste, für die Religionswissenschaft und die Philosophie weit bedeutsamer, als „Die Herren und Knechte…“ Der Bogen spannt sich von seinem ersten Werk „Der Mensch – Sinnziel der Weltentwicklung“, was er noch als katholischer Priester verfasste und das 1967 erschien, bis zu seinem letzten Werk „Licht- und Schattenseiten prominenter Zeitgenossen“, was in seinem Todesjahr 2024 erschienen ist.
Unter einer Vielzahl von Titeln, wie „Der kritische Mensch und die Sinnfrage“, „Religion: Möglichkeit oder Grenze der Freiheit“, „Zwischen Gott und Genossen“ über „Luther ohne Mythos“, sowie „Die neuen Atheisten“ und „Vom wahren Geist der Humanität“, fällt das Buch „Moderne Denker der Transzendenz“ vielleicht etwas aus dem Rahmen und überrascht durch ontologischen Scharfsinn. Interpretiert man nämlich Transzendenz nicht theologisch, sondern philosophisch, so muss sie nicht notwendig eine Überschreitung des Bewusstseins ins Übersinnliche oder gar Außerweltliche bedeuten, sondern kann auch, im frei-religiösen Sinne, eine qualitative Steigerung der emotionalen Erlebnisfähigkeit vielfältiger Art bedeuten, wie im Empfinden von Musik, Freundschaft, echter Liebe, dem Genuss eines trockenen Rieslings, Empathie zu einem Gemälde oder Kunst allgemein – bis hin zur Fähigkeit eines Mitleidens. Mit der drastischen Feststellung, es gibt einen käuflichen Genuss, aber keine käufliche Liebe, verweist Mynarek auf eine dynamische Transzendenz über Sex und Erotik hin zur echten Liebe. Danach kann sinngemäß die Physik der sexuell-erotischen Anziehung in die Metaphysik der Liebe übergehen. Richard Wagner, der als Musiker nicht allein auf die spärlichen Begriffe unserer Sprache angewiesen ist, gelingt dies authentischer in seiner Oper „Tristan und Isolde“: „Sink´ hernieder Nacht der Liebe, gib vergessen, dass ich lebe, nimm mich auf in deinen Schoß, löse von der Welt mich los“. Weniger romantisch, ohne Transzendenz, wäre Liebe nur eine hormonbedingte gegenseitige Flüssigkeitsabsonderung. Transzendenz ist damit nicht irgendeine geheimnisvolle außerweltliche Entität, sondern ereignet sich in der Welt und durch die Welt. Mynareks sensibler Zugang zur „psychologischen“ Grenzüberschreitung und einer säkularen Spiritualität ist kennzeichnend für den Geisteswissenschaftler. Schließlich ist die relativ kleine Schrift Das andere Christentum - über eine neue Vielfalt der Religiosität, noch zu erwähnen. Mynarek verfasste sie am Ende seiner langen Schaffensperiode, zusammen mit Anton Grabner-Haider und Erich Satter.
Bei seiner herausragenden wissenschaftlichen Potenz war Hubertus Mynarek ein Wissenschaftler, von dem man über die „Schöpfung ohne Schöpfer“ viel lernen konnte und mit dem mich eine langjährige Freundschaft verband, ein nicht ganz einfacher, aber im Grunde liebenswerter Mensch. Er neigte gelegentlich zur Polemik, die zu ertragen sich jedoch lohnte. Wissenschaftlich kannte er keine Kompromisse. Die Frage nach Gott versuchte er postmodern zu beantworten: Man ist Atheist nicht deshalb, weil Gottes Nichtexistenz einwandfrei bewiesen worden ist (was gar nicht möglich ist). Man ist Theist nicht deshalb, weil Gottes Existenz einwandfrei bewiesen ist (was ebenfalls nicht möglich ist). Man ist Atheist oder Theist, weil die Entscheidung für das eine oder das andere nie allein von der Vernunft erzwungen ist, sondern stets auch vom Willen und Gefühl mit diktiert wird, vom Willen und Gefühl, welche möchten, Gott möge nicht existieren oder Gott möge existieren. Nicht jeder Atheist, nicht jeder Theist, muss diese seelische Analytik erkennen oder durchschauen, viele werden sogar glauben, ihre Entscheidung für Atheismus oder Theismus sei total rationaler Natur. Dem tieferen Blick aber kann nicht verborgen bleiben, dass es das „rein rationale Wesen Mensch“ gar nicht gibt, dass dieses eine realitätsfremde Abstraktion ist und bleiben wird.
Die „seelische Analytik“, führt bei Mynarek zu einem Urvertrauen und - durchaus widersprüchlich - zur Utopie eines wahrhaft humanen Wesens. Dazu abschließend sein schlichtes Credo: „Entscheidend im Allerletzten ist überhaupt nicht, woran man glaubt, ob man an Gott, wie immer man ihn auffasst, glaubt oder nicht. Ob man glaubt, dass er ist, oder glaubt, dass er nicht ist. Wichtig erscheint allein die entschiedene, im eigenen Leben hartnäckig durchgehaltene Option für das ethisch Gute, für soziale Gerechtigkeit und gütige Behandlung aller Menschen und aller Lebewesen ohne Ausnahme“.
Erich Satter
München/Graz
Die Unvereinbarkeit des Humanistischen Freidenkerbundes Havelland e.V. (HFH) mit extremistischen, rassistischen und anderen menschenfeindlichen Haltungen und Handlungen
Entsprechend der Satzung des HFH, insbesondere § 2 Abs. 2., 3. und 6., und der Programmatischen Grundgedanken des HFH sind folgende verbandsfeindliche Haltungen und Handlungen mit der Mitgliedschaft im HFH, mit einer haupt- oder ehrenamtlichen Mitarbeiterschaft im HFH und mit anderen Tätigkeiten für den HFH unvereinbar.
Zu diesen Haltungen und Handlungen von Personen und von Parteien und Organisationen gehören vor allem:
- Verhalten gegen die Menschenrechte (entsprechend der UNO-Menschenrechtskonvention),
- gegen die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und gegen die verfassungsmäßige Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland
- Rassismus und Antisemitismus
- Fremden- und Ausländerfeindlichkeit
- politischer und weltanschaulicher Extremismus, Faschismus und Islamismus
Personen und Vertreter*innen von Parteien und Organisationen, die diese Haltungen und Handlungen zeigen, ist das Betreten unserer HFH-Einrichtungen grundsätzlich nicht gestattet.
Nauen, 07.05.2024
Beschluss des Vorstands des Humanistischen Freidenkerbundes Havelland e.V.
Erklärung des Bundes Freireligiöser Gemeinden Deutschlands (BFGD) zum Bericht über „Lebenswendefeiern“ vom 21. Mai 2024
Beim Bericht über die Versuche, seitens der christlichen Kirchen Alternativen zu ihrer Konfirmation und Kommunikation für religiös uninteressierte Jugendliche einzuführen, fällt auf, dass die Jugendweihe, gegen die sich diese Versuche richten, wieder nur als Feier der ehemaligen DDR dargestellt wird.
Das ist falsch, denn die Jugendweihe ist älter als die DDR, die dieses Ritual von der freireligiösen/freigeistigen Bewegung abgekupfert hatte. Die freireligiöse Jugendweihe wurde 1852 von Eduard Balzer, Präsident des BFGD und Mitglied des Vorparlaments 1848, ins Leben gerufen. Sie war ein Ausdruck der Abwendung der Gemeinschaften vom Christentum hin zu einer selbstbestimmten kritischen Religion und Weltanschauung.
Noch heute wird sie von freireligiösen Gemeinschaften und humanistischen Weltanschauungsgemeinschaften gefeiert und ist offen für alle Jugendlichen. Sie erfreut sich gerade in den östlichen Bundesländern großer Beliebtheit genauso wie in vielen anderen Bundesländern.
So wurde im April dieses Jahres die Jugendweihe einiger freireligiöser Gemeinschaften auf dem Hambacher Schloss gefeiert, um an die demokratische Tradition der Gemeinschaften und ihre Verpflichtung zur Wahrung der Menschenrechte und einer humanistischen Ethik zu erinnern. Für sich Verantwortung zu übernehmen, ist Teil dieser Tradition, oder wie es eine Teilnehmerin ausdrückte: „… alles, was ich persönlich mache, ist versuchen, versuchen besser in Bereichen zu sein, um mich selbst abzulenken, versuchen für mich selber eine Lösung zu finden, versuchen es alleine hinzukriegen.“
Im Sinne einer humanistischen Ethik zu handeln, ist Anliegen vieler junger Menschen, wir wollen sie dazu ermutigen: Ich zitiere einen Teilnehmer aus diesem Kreis der jungen Menschen vom Hambacher Schloss:
„Wir alle sind also zum verantwortlichen Handeln aufgerufen und müssen uns stets fragen: Habe ich verantwortlich entschieden, in dem, was ich getan oder nicht getan habe? Habe ich dabei so entschieden und gehandelt, dass es jeder im Sinne eines allgemeinen Gesetzes tun würde? Habe ich dabei meine Mitmenschen nicht nur als Mittel zum Zweck gesehen, sondern als Menschen mit eigenen Wünschen und Zielen?“
Renate Bauer
Präsidentin