Statements2023
Statements

„Ich mal mir die Welt, wie sie mir gefällt“
Dieser schöne Satz aus Pippi Langstrumpfs Mund lädt uns in ein Bild von Freiheit ohne Regeln, ohne Verantwortung, ohne Schwermut ein. Es könnte so schön sein, wenn dieses verklärte Bild eines tollen Kinderabenteuers nicht den Tatsachen entsprechen würde. Wie einfach ist es doch, mit Falsch-Etikettierung und Green-Washing unsere Missstände auszubessern und in Luft aufzulösen.
Der Verkauf von CO2-Zertifikaten beispielsweise ist an finanzielle Bedingungen geknüpft, die die Menschen in Afrika, Südamerika und Co. dazu drängen, ihren Lebensstil zu ändern, um den Lebensstil des Westens auszugleichen. Also gibt es im Westen nichts Neues, aber dort in den Ländern, wo die Ärmsten der Armen leben und abhängig sind von unserem Geld, welches wir ausgeben, um uns freizukaufen und reinzuwaschen.
Auch in Deutschland kaufen wir uns von unserem schlechten Gewissen frei. Die benannten Klimaziele werden den neuen Autobahnen in den Rachen geworfen, der Zugverkehr rollt weiter auf maroden Schienen, aber Ausnahmen wird es weiterhin für E-Fuels geben, die wahrscheinlich auch rein(gewaschen) sind. Wir verbergen uns hinter falschen Tatsachen, schaffen und erschaffen, kreieren sogar eine neue Welt à la Claas Relotius, um dann aus dieser Blase heraus auf das Recht der richtigen Meinung zu pochen.
Mein schlechtes Gewissen holt mich schon ein, wenn ich mir einmal erlaube, Essen verpackt mit nach Hause zu nehmen und wir irgendwie versuchen, die Plastiktüten sinnvoll weiter zu nutzen, um diese nicht gleich wieder in den Müll zurückzugeben. Auch auf meinem kleinen Grundstück haben sich erste Spuren zu erkennen gegeben. In den letzten Jahren haben es zwei Bäume nicht geschafft, gesund weiter zu bestehen. Wir mussten beide schweren Herzens den Baumfällern freigeben und wurden dafür um Kompensation durch die Stadt gebeten. Bis zu vier Bäume pflanzen wir nun für einen gefällten Baum. Wenn ich mir überlege, wieviel auf solch einem kleinen Grund möglich erscheint und verlangt wird, müsste unsere Erde ihre grüne Lunge längst erneuert haben. Aber unsere Erde hat Asthma, sie schnappt nach Luft vor lauter Dreistigkeit und Arroganz der Menschen.
Selbst in meiner letzten Yogastunde ging es um das Thema Wahrheit, unsere innere und äußere Wahrheit. Dass wir oft selbst einem Bild entsprechen, was von außen geprägt ist und wir dabei unseren Blick nach innen vergessen. Und somit uns selbst belügen, uns etwas vormachen. Das gilt anscheinend für weit mehr Bereiche, als uns genehm ist. Dies lässt sich so gerne hinter fadenscheinigen Begriffen wie CO2-neutral, sustainable product und klimafreundlich verbergen. Wie kann auf einmal fast jedes Produkt eines Kleidungsherstellers nachhaltig sein, wenn die Mode für 5 € kaum den Stoff bezahlt, der ein Kleidungsstück ausmacht und sich diese Kleidungsstücke auch nicht verändert haben? Das ist Green-Washing im reinen Sinne und zählt zu den vielen Sachen, von denen wir nichts wissen wollen.
Die Autorin Anna Mayr formuliert es in ihrem neuen Buch „Geld regiert die Welt“ mit einer gewissen Bürgerpflicht zur Reflexion. Man sollte skeptisch mit allen Dingen umgehen, nicht nur mit den Dingen, welche andere tun, sondern auch mit denen, die man selbst macht und ausgibt. Doch welcher Person kann man vertrauen, wenn wir uns selbst nur etwas vormachen? Kann man sich selbst noch vertrauen? Ist es nicht immer die Industrie, die verkauft, an die wir uns selbst verkaufen? Und so müssen sogenannte weiche Ziel immer wieder gegen die Industrie kapitulieren. Haben da die Grünen überhaupt eine Chance gegen diese Lobby des Geldes?
Wenn die grüne Oberfläche, die wir mit CO2-Zertifikaten in Afrika verkaufen, so gut und unschuldig wäre, wie sie klingt, würde dann nicht die nördliche Hemisphäre besser geeignet sein als Afrika? Nach allen, was wir wissen, kann Kenia nicht grüner als der größte Teil von Europa oder den USA und Kanada sein.
Diese Mentalität von „Lasst uns unsere Industrie vermarkten“ und „Lasst andere die Last unserer Verantwortung bezahlen“ zeigt auch den Weg, wie einige Länder ihren nuklearen Müll nach Afrika verschiffen, nachdem sie den Nutzwert ausgeschöpft haben und im afrikanischen Hinterland sich die Menschen an den Folgen aller Arten von Krankheitsbildern erfreuen können. Endstation Sehnsucht nach einer besseren Welt sieht definitiv anders aus. Auch hier spielt Kenia neben Tansania, Mali und Nigeria eine wichtige Rolle. Und das sind alles Länder, mit denen auch Deutschland versucht, Bündnisse zu knüpfen bzw. schon längst welche bestehen.
Diese Mentalität hat nichts mit einer entwickelten Welt zu tun, sondern mit dem Versuch, andere für unsere Fehltritte bezahlen zu lassen. Dabei wird es aber keinen Zugewinn für Afrika geben, sondern macht Afrika nur zu einer neuen Müllhalde anstatt unseren Planeten zu retten.
Welche Art von Freiheit erkaufen wir uns, wenn wir nur auf Zeit spielen? „Alles nicht so schlimm“, „sieht doch alles harmlos aus“ oder „hier ist doch alles in bester Ordnung“ sind typische Beispiele für unsere Scheuklappenmentalität. Ist es uns wirklich so egal, wie es unseren Kindern und Enkelkindern später gehen wird? Aber soweit brauchen wir gar nicht zu schauen, sondern ein Streifzug durch die grüne Lunge unserer Welt macht schon sehr nachdenklich. Ob in Finnland, in den Alpenübergängen nach Italien oder im brandenburgischen Wald sind die asthmatischen Auswirkungen im erkrankten Baumbestand deutlich zu sehen. Da schlägt mein allergisches Immunsystem Alarm und ich frage mich, wie es sich körperlich anfühlt, wenn uns die Luft wegbleibt oder mir im übertragenden Sinne? So fühlt sich keine Freiheit an, nur eine teuer erkaufte, die uns irgendwann wieder auf die Füße fällt.
Doch Pippi Langstrumpf hatte bestimmt nichts Böses im Sinn, noch weniger Astrid Lindgren, die der Literaturwelt diesen wunderbaren Charakter geschenkt hat. Eigenwillig und immer gegen den Strom schwimmend ist sie vielleicht das Zeichen zur kleinen Rebellion, nicht dieselben Fehler zu machen wie Goliath. Sich für das kleine Ziel vor Ort einzusetzen, um am großen Ganzen mitzuwirken. Malen wir uns doch nicht nur eine schöne, gesunde Welt, sondern sind proaktiv und selbstbestimmt wie Pippi es vorlebt - mutig voran, bis nicht nur wir Gefallen daran finden, sondern auch anderen damit einen Gefallen tun.
Lamine Madani und Silvana Uhlrich-Knoll
Quellen: Anna Mayr „Geld regiert die Welt“
https://ourworldindata.org/co2-emissions
https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-03/co2-zertifikate-netflix-luxus-kritik?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE