IARF
Berichte
Religion frei Haus
Bericht über die erste digitale Konferenz der IARF (EME)
International Association for Religious Freedom, Region Europa und mittlerer Osten (East).
Die Überschrift fiel mir ein, als mich am letzten Tag der Konferenz jemand fragte: Und wo findet die Konferenz statt? Dazu fiel mir nichts anderes ein als zu sagen, vor deinem Computer, also zu Hause. Das Thema „Does religion set you free? (Macht dich Religion frei?) bekam man also nach Hause – frei.
Seit ich das Thema zum ersten Mal hörte, gingen mir viele Halbsätze durch den Kopf. Frei in der Religion. Frei mit der Religion. Frei durch Religion. Frei trotz Religion. Frei ohne Religion. Frei von Religion. Für mich kristallisierte sich die Betrachtung heraus: Gibt mir die Mitgliedschaft, bzw. die Lehre der Unitarischen Freien Religionsgemeinde die Kraft, mich frei zu fühlen? Gerade in der Zeit der Pandemie unterscheiden sich die Menschen ja darin, wie schnell sich jemand eingeschränkt – nicht frei – fühlt. Wenn ich eine Vorschrift nachvollziehen kann, schränkt es mich nicht ein, die Regel einzuhalten. Das ist meine Sichtweise von Freiheit.
Religion geht immer über den Einzelnen hinaus. Der Blick auf die Gemeinschaft, die Natur und, je nach Glauben, auf Gott / das Unendliche / das Allesumfassende ist, was die religiösen Menschen voneinander unterscheidet. Dieser Blick sagt aber nichts über Freiheitsgrade in der eigenen Religion.
Zur IARF Konferenz, die vier Tage dauerte, vom 8. bis 11. Mai 2021, waren Vertreter der verschiedensten liberalen Religionen eingeladen. Sprecher waren liberale Rabbiner:innen wie Mark Solomon aus England und Malgorzata Kordowitz aus Polen, Morgana Synthove von der Wiccan Bewegung, die heidnische Riten in die Jetztzeit zurückholt, Dr. Esther Suter von den Freien Protestanten der Schweiz, Pascal Schilling, Freireligiöse Gemeinde Offenbach, Susanne Dawi von der liberalen Moschee in Berlin (Ibn Rushd Goethe Moschee), Frau Charanjit Singh aus England und Indien als Vertreterin der Sikh-Bewegung und die Bischöfin Rusudan Gotsiridze von der Baptistengemeinde in Georgien.
Die Konferenztage begannen mit einer knapp halbstündigen Andacht (devotion). Das Besondere war, dass auf Grund der digitalen Übertragung noch ein kleiner Austausch über die religiösen Aussagen der Vortragenden möglich war. Es gab je eine Ansprache aus der unitarischen Tradition, der jüdischen, moslemischen und heidnischen (pagans). Zur Eröffnungsveranstaltung am Samstag schickten viele Mitgliedsgruppen Grußvideos, darunter auch eins der süddeutschen freireligiösen Gemeinden zusammen mit der Unitarischen Gemeinde Frankfurt. In einem Rückblick auf die letzten 175 Jahre wurde zusammengefasst, wofür die freireligiöse Bewegung steht. Über: „Religion: our home, not our prison“ (Religion: unser Zuhause, nicht unser Gefängnis) sprach Rabbi Mark Solomon am Sonntag. Seinen Weg aus der orthodoxen jüdischen Tradition über viele Stationen zum Lehrer des liberalen Judentums zeichnete er anhand seiner Biographie auf. Er veranschaulichte, wie er seinen Glauben mit seinem Leben in Einklang brachte, damit sich auch als schwuler Mann akzeptieren konnte und sich von seinem Selbsthass verabschiedete. Mit Religion wurde er frei, jetzt ist er frei in der Religion.
Den philosophisch-religiösen Weg von Fritz Buri (1907–1995), einem liberalen Schweizer Theologen, zeichnete Frau Dr. Esther Suter nach, ein Weg, der zur inneren Freiheit in der Religion führte. Neben den beiden Hauptreferaten konnte man sich in Arbeitsgruppen zu verschiedenen Aspekten des Themas auszutauschen.
Am letzten Tag saßen fünf Rednerinnen auf dem Podium (sinnbildlich) und stellten unter dem Thema „Will Religion set us free? (Wird die Religion uns frei machen?) ihre religiösen Lebens- und Arbeitsbedingungen gerade als Frauen dar. Morgana Synthove, Susanne Dawi, Rusudan Gotsiridze, Malgorzata Kordowitz und Charanijt Singh konnten spannend berichten, dass in religiösen Strukturen noch lange nicht die Freiheit zu finden ist. Aber es gibt Lichtblicke, z.B. darin, dass diese fünf Frauen sich auf diesem Podium getroffen haben. Der Weg zur äußeren und inneren Freiheit geht weiter. Fazit: Weiß ich jetzt, ob Religion mich frei macht? Aus den vielen Religionsschattierungen habe ich mir einmal die herausgesucht, die mich frei sein lässt, frei von Zwängen (Frei sei der Geist und ohne Zwang der Glaube). Frei sein in der Religion ist Arbeit. Niemand kann sie mir geben. Ich muss sie mir selbst erarbeiten. Es hilft hinzuhören, wie andere ihre Freiheit erlangt haben und hinzusehen, wo die Freiheit der Religion eingeschränkt ist oder unmöglich gemacht wird.
Gudrun Hahn