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Säkulares Forum

Berichte
Religionsunterricht ist Ländersache:
Ein Bericht aus Hamburg
Im weltoffenen Hamburg gibt es in den Klassen 1-6 nur den Religionsunterricht „für alle“, die Klassengemeinschaft wird also nicht durch getrennte, verschiedene Religionsunterrichte bzw. einen alternativen Unterricht aufgehoben. Das wäre eigentlich ideal, wenn sich dabei alle in der Klassengemeinschaft unter gleichen Voraussetzungen über Werte, Kulturen, Weltanschauungen und Religionen austauschen könnten.
Was aber geschieht mit konfessionsfreien Kindern in diesem besonders beeinflussbaren Alter in einem Bekenntnisunterricht?
Denn darum handelt es sich tatsächlich! Der Religionsunterricht „für alle“ wird nämlich allein von fünf Religionsgemeinschaften gestaltet und verantwortet, die „ihren“ Bekenntnisunterricht wie eine Wagenburg verteidigen: Die Religionslehrer müssen Mitglied einer dieser Religionsgemeinschaften sein und deren Lehrbeauftragung beibringen. Für die in Hamburg über 60 % Konfessionsfreien ist für eine gleichberechtigte Mitwirkung kein Platz, und sie sind auch bei der Gestaltung der Lehrplaninhalte nicht beteiligt. Anders als in fast allen Bundesländern gibt es in Hamburg in den Klassen 1-6 auch kein Alternativfach wie Ethik, Werte und Normen oder Philosophieren mit Kindern – erst ab Klasse 7 wird Philosophie als Alternative angeboten, was etwa die Hälfte der Schüler dann auch nutzt.
Der Stadtstaat wird zurzeit von einer rot-grünen Koalition regiert, die in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hat, dass „der Religionsunterricht so gestaltet [wird], dass Kinder und Jugendliche aller Glaubensrichtungen und auch solche, die dezidiert keiner Religion angehören, ansprechende und alle berücksichtigende identitätsstiftende Bildungsangebote bekommen und miteinander ins Gespräch kommen.“
Während der Regierungszeit der CDU wurden die Hamburger Verträge mit der evangelischen Nordkirche, der römisch-katholischen Kirche und der Jüdischen Gemeinde abgeschlossen und danach auch die Verträge mit den muslimischen Religionsgemeinschaften (DITIB, SCHURA und VIKZ) und den Aleviten. Daraufhin tragen nun diese Religionsgemeinschaften gemeinsam die Verantwortung für den Hamburger Bekenntnisunterricht „für alle“. Es rumort deshalb bei den Konfessionsfreien.
Am 5.4.2024 hatten die religionspolitischen Sprecher von SPD und Grünen zu einem Fachtag „Religionsunterricht für alle – RUfa 2.0“ eingeladen zum Thema „Nicht religiöse Perspektiven in den Klassen 1-6“. Teilnehmer waren Aleviten, Katholiken, Juden, Muslime von DITIP, SCHURA und VIKZ, Buddhisten, Hindus, Religionslehrer, GEW, Säkulares Forum Hamburg und seine Mitgliedsorganisationen, Zentralrat der Konfessionsfreien, HVD Berlin (Humanistische Lebenskunde in Berlin), betroffene Eltern und Vertreter von säkularen Arbeitsgemeinschaften der beiden Parteien.
Das Säkulare Forum Hamburg e.V. fasst in seiner Bewertung zusammen:

• Es gibt kein „identitätsstiftendes Angebot“ für die säkularen Schüler im RUfa 2.0, wie im Koalitionsvertrag gefordert.
• Säkulare Schüler werden genötigt, am Bekenntnisunterricht von Religionen teilzunehmen.
• Ein Alternativunterricht wie Ethik, Werte und Normen, Philosophieren mit Kindern ist in den Klasssen 1-6 nicht vorhanden.
• Die Abmeldemöglichkeit vom RUfa wird den Eltern aus schulorganisatorischen Gründen de facto nicht bekannt gemacht.
• Da eine Abmeldung vom RUfa im laufenden Schuljahr die Gefahr birgt, Schüler zu stigmatisieren, findet sie praktisch kaum statt, zumal kein Alternativunterricht wählbar ist.
• Die evangelische Nordkirche zeigt sich nicht kooperationsbereit, mit Vertretern säkularer Organisationen zu sprechen.
• Säkulare Organisationen, die wie in Berlin einen säkularen Bekenntnisunterricht anbieten könnten und dürften, werden beim RUfa nicht mit einbezogen.
• Säkulare Lehrkräfte (auch aus den mit Religionen gleichgestellten Weltanschauungsgemeinschaften) sind nicht zugelassen.
• Bei den politisch Verantwortlichen ist kein ernsthafter Veränderungswille erkennbar.

Referenten waren Dr. Jochen Bauer als Vertreter der Schulbehörde, Prof. Thorsten Knauth mit didaktischem Blick auf die nichtreligiöse Perspektive in den Klassen 1-6, Prof. Alexander Unser, Kath. Theologie, TU Dortmund mit einem Vergleich von Norwegen, England/Wales und LER in Brandenburg sowie eine ehem. Schulleiterin mit einem Unterrichtsentwurf für Kl. 3 und einem Religionslehrer mit einem Unterrichtsmodell zur Schöpfungsgeschichte für Kl. 6.
Die anschließenden Arbeitsgruppen wurden aus dem Plenum noch ergänzt um die Gruppen:

• Was brauchen konfessionsfreie Kinder und Eltern
• RUfa 2.0 in der Kritik: Wo müsste in den Klassen 1-6 nachgesteuert werden, vor allem bei der Einbindung nichtreligiöser Perspektiven
• Ist RUfa die Quadratur des Kreises?

Das kurze Feedback am Ende ergab, dass auch mehrere Religionsgemeinschaften die Forderung nach besserer Einbindung der säkularen Schüler unterstützen. Mehrere säkulare Organisationen hielten den gegenwärtigen Zustand des RUfa für unhaltbar, bei dem etwa der Hälfte der Schüler kein identitätsstiftendes Angebot gemacht wird. Eine Verbesserung könnte entweder durch eine Ausweitung der Gestaltung des RUfa durch säkulare Organisationen oder durch ein Alternativfach wie Ethik, Werte und Normen oder Philosophieren mit Kindern erreicht werden. Solche Entscheidung ist in Hamburg erst ab Klasse 7 möglich und wird dann auch von der Hälfte der Schüler genutzt. Bei der Zukunftsperspektive sind sich Grüne und SPD nicht einig: Der eine plädiert für Fortführung der Diskussion, der andere für weitere Erprobung (und damit Erhaltung!) der bestehenden Bildungspläne.
Heiko Porsche,
1. Vorsitzender Verband freier Weltanschauungsgemeinschaften Hamburg e.V.
und Mitglied im Vorstand des Säkularen Forums Hamburg e.V.

Säkulares Forum Hamburg
Auf Einladung der Präsidentin der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg hat Helmut Kramer als Vorsitzender des Säkularen Forums Hamburg bei der Gedenkveranstaltung „30 Jahre Hamburger Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte“ im Kaisersaal des Rathauses teilgenommen.
Bemerkenswert waren die ausführlichen Informationen darüber, warum erst 43 Jahre nach Kriegsende diese Stiftung gegründet wurde. Es wirft einen Blick auf das Desinteresse in der Nachkriegszeit der Bundesrepublik, sich mit dem Schicksal der NS-Verfolgten zu beschäftigen. Aufgrund des nach dem Zweiten Weltkrieg sogleich einsetzenden „Kalten Krieges“ blieben mit Duldung der Besatzungsmächte viele ehemalige Mittäter im Amt. Sie  waren natürlich an einer Aufarbeitung nicht interessiert. Totschweigen war das Motto.
Der Versuch einer Hamburger Initiative, eine „Deutsche Stiftung für NS-Verfolgte“ zu gründen, wurde vom Bundestag abgelehnt. Daraufhin wurde von der Hamburger Bürgerschaft im Alleingang diese Stiftung ins Leben gerufen. Zitat aus der umfangreichen Dokumentation der Stiftung „Niemand ist vergessen“: „In den 30 Jahren ihrer Arbeit hat die Stiftung über 2.000 NS-Verfolgten mit Beihilfen und zu einem anderen Verständnis über bisher ausgegrenzte NS-Verfolgte beitragen können.“ Hamburg kann stolz auf seine Arbeit sein.
Helmut Kramer

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